(37) Victor Hugo »Les Misérables« Gavroche dehors

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    Tome V – Jean Valjean
    Chapitre XV : Gavroche dehors

    Zwischen dem Kugelfeuer draußen auf der Straße
    erblickte plötzlich Courfeyrac jemanden unten auf den Barrikaden.

    Gavroche saß unbekümmert zwischen den getöteten Nationalgardisten
    und plünderte ihre Patronentaschen.

    „Was machst du da?“ fragte Courfeyrac.
    Gavroche sah in frech an.
    „Citoyen, j’emplis mon panier.“
    („Na ich fülle meinen Korb.“ )
    „Siehst du nicht wie sie schiessen?“
    „Eh bien, il pleut. Après ?“
    („Nun, es regnet.“) erwiderte Gavroche.
    „Komm mir bloß rein!“ rief Courfeyrac.
    Gavroche kam näher
    „Tout à l’heure“
    („Ja gleich in einer Stunde.“)
    und war mit einem Satz wieder auf der Straße.

    Überall lagen Tote. Vielleicht zwanzig.
    Für Garvroche bedeute dass,
    etwa zwanzig Patronentaschen für die Verteidigung
    der Barrikade einzusammeln.

    Wie dichter Nebel bedeckte der Kriegsqualm die enge Straße.
    Kämpfer und Kameraden wussten sich kaum zu unterscheiden.
    Diese günstige Verworrenheit vor den Barrikaden
    ließ unseren kleinen Garvroche ziemlich weit vorwagen.
    Fast ungesehen waren die nächstliegenden sieben
    oder acht Patronentaschen schnell in seinem Korb veschwunden.

    Flink bewegte er sich von einem Toten zum Nächsten
    und öffnete die Patronentaschen wie ein hungriger Affe Nüsse.
    Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, blieben die Kameraden bei den
    Barrikaden ruhig und ermahnten ihn nicht zurückzukehren.

    Bei einem Leichnam fand er ein Pulverhorn „pour la soif“,
    („für den Durst,“)
    und liess es in seiner Tasche verschwinden.

    Doch im Eifer des Gefechts bemerkte er nicht,
    dass er bereits den Strassenteil erreicht hatte,
    auf dem der Rauch dünn war.

    Plötzlich sahen die Soldaten, wie etwas sich im Qualm bewegte.
    Und als Garvroche die nächste Patronentasche aufknüpfte,
    traf eine Kugel die Leiche.
    „Fichtre !“ rief er empört. „Voilà qu’on me tue mes morts.“
    („Nun schiessen sie mir schon meine Toten tot!“)

    Eine zweite funkte neben ihm auf dem Pflaster auf.
    Die dritte warf seinen Korb um.
    Garvroche hielt inne
    und schaute in die Richtung aus der die Kugeln gekommen waren.

    Er richtete sich auf, die Haare im Wind, die Hände in den Hüften, der
    Blick fest auf die Nationalgardisten gerichtet.



    On est laid à Nanterre,
    C’est la faute à Voltaire,
    Et bête à Palaiseau,
    C’est la faute à Rousseau.

    Dann hob er seinen Korb auf,
    sammelte die herausgefallenen Patronen wieder ein
    und fuhr damit fort, die Taschen der toten Soldaten zu plündern.

    Eine vierte Kugel verfehlte ihn.
    Gavroche rief:

    Je ne suis pas notaire,
    C’est la faute à Voltaire,
    Je suis petit oiseau,
    C’est la faute à Rousseau.

    Eine fünfte Kugel.

    Joie est mon caractère,
    C’est la faute à Voltaire,
    Misère est mon trousseau,
    C’est la faute à Rousseau.

    Gefesselt sah man auf dieses gruselige Schauspiel.
    Jeden Schuss beantworte Gavroche mit einer Strophe.
    Es schien ihm Freude zu machen die Soldaten zu foppen.
    Er hüpfte zwischen den Kugeln hin und her
    und drehte eine lange Nase in Richtung der Schützen.

    Ein finsterer Spass lag in der Luft.
    Die Nationalgardisten fingen an zu lachen.
    Gavroche spielte verstecken mit dem Tod
    und sammelte weiter Patronen.

    Die Aufständischen auf der anderen Seite hielten ihren Atem an
    und sahen wie wie ein kleiner zarter Junge
    die Barrikade zum Zittern brachte.

    Die Kugel traf ihn.
    Das Kind taumelte. Gavroche fiel auf das Pflaster.
    Doch er war nur gefallen um sich noch einmal aufzurichten.
    Halb stehend rief er in die Richtung, aus der die Schüsse kamen:

    Je suis tombé par terre,
    C’est la faute à Voltaire,
    Le nez dans le ruisseau,
    C’est la faute à…

    Die zweite Kugel vom gleichen Schützen hatte ihn getroffen.
    Das blutende Gesicht viel auf das Pflaster.
    Die Straße verstummte.
    Seine mutige Seele hatte den kleinen Körper verlassen.


    Merci beaucoup Jerémie Paul! – er las den frz. Originaltext von Gavroche.

    Übersetzung: frei übersetzt von Ulrike Theusner (Musik) und Elisa Demonkí (Lesung)

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